Sali zämu
Ich bin immer wieder hin und her gerissen. Kann man es heutzutage noch mit sich vereinbaren, Hilfsarbeiter für mehrere Monate ihrer Heimat zu entreissen, um diese knapp über Schweizer Mindestlohn für sich arbeiten zu lassen? Oder ist deren Motivation und Dankbarkeit, Beweis genug, dass dies durchaus OK ist?
Der Rebbau erlebte in den vergangenen Jahrzehnten einen stetigen Strukturwandel. Ich nehme euch mit auf eine Zeitreise in die goldenen Jahre: Im Salgesch der 60er und 70er – zu Zeiten meiner Grosseltern – fuhren viele mit ihren Bascos durch die Strassen und beinahe jede Familie besass einige Quadratmeter Reben. Die Trauben verkauften sie an die Kellereien im Dorf. Anfangs taten sie dies im Nebenerwerb, doch als die Nachfrage nach Walliser Wein das Angebot übertraf, brach im Grossteil des Kantons eine regelrechte Goldgräberstimmung aus.
Die Branche boomte, Kellereien schossen aus dem Boden, die Rebfläche wuchs jährlich an. Der Grossteil unserer eigenen Reben stammt ebenfalls aus dieser Zeit. Damals gab es keine Mengenbeschränkungen und die Kilopreise für die Trauben waren teilweise sogar höher als heute.
1970: Pro Quadratmeter Pinot Noir (also an einer Rebe grob gesagt) wurden nicht selten 2 kg Trauben à ca. 4.20 CHF/kg produziert = CHF 8.40/m2.
2020: Die quantitative Ertragsgrenze für Pinot Noir lag letztes Jahr bei 1 kg/m2 und der vom Branchenverband der Walliser Weine (BWW) vorgeschlagene Richtpreis betrug CHF 3.30/kg = CHF 3.30/m2.
Das sind knapp 60% weniger als vor 50 Jahren. Dadurch wurde es teilweise unmöglich kostendeckend zu arbeiten und bei Ernteausfällen legt man heute sogar drauf. Hierbei lassen wir die Teuerung, die steigenden Kosten für die Bewirtschaftung und die zusätzliche Bürokratie der letzten Jahrzehnte sogar bewusst aussen vor. Deshalb musste man skalieren; es brauchte noch mehr Reben um weiterhin davon leben zu können. Der Preis- und Mengenrückgang hat viele Gründe, aber das ist ein anderes Thema.
Während früher in den Reben ausschliesslich einheimische Familien arbeiteten, verkauften diese nun panikartig ihren Boden, was die Bodenpreise für Reben in den Keller fallen lies. Der Grossteil dieses Bodens wechselte in den Besitz einiger Kellereien. Um gewinnbringender arbeiten zu können kontrollierten diese fortan die gesamte Produktions- und Wertschöpfungskette. So wurde aus vielen Kleingrundbesitzern – innert einiger Jahre – wenige Grossgrundbesitzer.
Auf den Webseiten der meisten dieser grossen Walliser Weinkellereien sieht es heute trotzdem weiter aus wie in der guten alten Zeit: Stolze Winzerfamilien, mit jahrzehntelanger Tradition, posieren in Polohemden und Hand anlegend im eigenen Rebberg. Wirklich schön!
Diese Bilder zeigen jedoch nur einen kleinen Bruchteil der heutigen Wahrheit. Denn Abseits der Social Media Plattformen und Broschüren – im Schatten der Glanzlichter sozusagen – arbeiten jene Protagonisten,
Für Wundärland waren dies im Sommer 2021 unsere drei aus Nordmazedonien stammenden Hilfskräfte:
Sie leisteten einen grossartigen Job, dies liessen wir sie auch mehrfach wissen und unsere Dankbarkeit spüren!
Sie sind damit aber auch gleichzeitig Teil einer immer grösser werdenden Gruppe von Menschen, deren Existenz und Relevanz – nicht nur im Wallis – meist unter den Teppich gekehrt wird.
Ich kann nur die Vermutung anstellen, dass man in der Walliser Weinbranche nicht eben stolz ist, auf die Aussenwirkung dieser Realität. Den Konsumenten wird weiter die nostalgisch heile Welt von früher vorgegaukelt: Die One-Winzer-Family Show.
Bei uns lief es etwas gegen den Strom. Unsere Eltern entschieden sich entgegen dem allgemeinen Trend, ihr Lebenswerk nicht aufzugeben, hielten an ihren heute knapp 4 Hektaren fest. Sie aktualisierten regelmässig den Bestand und glauben auch weiter an eine Zukunft für Traubenproduzent*innen.
Denn unsere Eltern sind zwar auch heute noch täglich im Rebberg aktiv, aber verfügen selbstredend nicht mehr über das gleiche Leistungspensum wie noch in jungen Jahren (Alice 1950 / Aldo 1954), also brauchen sie mehr Hilfe als früher. Gleichzeitig wollten weder mein Bruder Romeo, noch ich, alles auf die Karte Reben/Wein setzen. Wer seit Jahrzehnten diese Entwicklung von innen mitbeobachten musste, geht intuitiv lieber einen anderen Weg.
Heute haben wir in einem Grossteil unserer Rebflächen Spezialitäten-Sorten angepflanzt. Diese sind zwar anfälliger für Frost und Krankheiten und obendrauf noch arbeitsintensiver (Wuchs etc.), aber für diese Sorten besteht bei guter Traubenqualität weiterhin ein Markt mit höheren Margen. Beim Auftauchen neuer Schädlinge (Suzuki-Fliege 2015), Frost (2017), Trockenheit (2020) oder Krankheiten (Mehltau 2021) tragen wir jedoch das gesamte Risiko und die Ausfälle selber. Dann wird's zur Zitterpartie.
Der Hauptteil unseres Traubengutes verkaufen wir auch heute noch, im erwähnt angespannten Marktumfeld, an verschiedene Kellereien. Lediglich ca. 15% verarbeiten wir zu eigenem Wein.
Wieso wir für ebendiesen Wein verhältnismässig hohe Flaschenpreise verlangen, werde ich in einem künftigen Artikel detailliert aufzeigen. Beim Gang durch die Weinregale der Discounter frage ich mich jedoch manchmal schon, wie es möglich ist, bei den hiesigen Rahmenbedingungen derart günstige Weine anbieten zu können.
Nur damit wir uns richtig verstehen: Wir werden auch mit unserem eigenen Weinverkauf nicht reich, das war jedoch auch nie das Ziel. Wir haben dadurch eine zusätzliche Einnahmequelle, ein verringertes Klumpenrisiko und eine spannende Tätigkeit geschaffen. Der Direktverkauf ermöglicht uns, dass Ende Jahr idealerweise etwas mehr übrig bleibt, das reinvestiert werden kann.
Ob und wann sich dieser Zustand je wieder ändern wird, bleibt abzuwarten.
Natse, Petre und Nikola waren von Mitte April bis Mitte August im Wallis und werden für die Ernte nochmals zurückkehren. Sie arbeiten körperlich hart und leben weit weg von ihren Familien.
Auch beim Lohn legen wir die Karten auf den Tisch, denn wer weiss schon, was ein solcher Hilfsarbeiter monatlich verdient. Wir tun dies anhand eines Lohnblattes von Petre:
Wir sind damit zwar über dem branchenüblichen Lohn (nicht qualifizierte Arbeitnehmer mit einem Arbeitsvertrag: ab dem zwölften Tätigkeitsmonat in der Landwirtschaft), heben diesen aber trotzdem jährlich an (werde den Beweis nächstes Jahr antreten).
Die ausländischen Hilfsarbeiter sehen es aber etwas anders. Ich habe mehrfach mit Petre darüber gesprochen, der sehr dankbar und glücklich mit seiner Arbeit und den Bedingungen bei uns ist, er ist gerne hier. Er sagte mir letzthin, dass seine Frau und die beiden Kinder froh seien, dass er dafür den Rest des Jahres daheim sei. Vor allem aber auch, dass er mit dem Lohn aus einigen Monaten Arbeit in der Schweiz, letztes Jahr in Nordmazedonien ein Haus für die Familie bauen konnte und deshalb sogar lieber noch einige Wochen länger bei uns arbeiten würde.
Es ist wie so oft im Leben, die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen und ich will keine Schönfärberei betreiben, jeder soll sich selber seine Meinung bilden und kann die gerne unten in der Kommentarfunktion mit uns teilen.
In dem Sinne, Griäss gehnt raus üsum Wii-Wundärland!
Euer Sandro
Kommentare werden vor der Veröffentlichung genehmigt.
dani aregger
23 September 2021
merci für diese transparenz, merci, dass ihr uns an euren ideen und gedanken teilhaben last und auch schwierige themen ins licht bringt. merci, das ihr das so seht und lebt; das ist gelebte verantwortung und haltung und einfach lässig und der richtige weg.
merci ans ganze team, daumendrücken für eine gute ernte und noch bessere neue weine. ich freu mich schon auf die lieferung und auf news aus dem wundärland.
häbets güet
dani